Baggersee

Wir waren am Baggersee. Britta, Elke, Holger, Oliver, Sandra – zwischen 7 und 10 Jahre alt – und ich. Wir hatten ein Feuerchen gemacht und Kartoffeln geröstet. Um das Feuer auszumachen, holten wir Wasser aus dem See.

Das Wasser interessierte sie. Erst ging Oliver mit seinen Gummistiefeln am Ufer lang. »Pass auf, dass dir kein Wasser reinschwappt.« (Ich hatte Angst, er könnte sich erkälten – meine Erwachsenenangst.) Dann wollte auch Elke im Wasser laufen. »Kann ich deine Gummistiefel haben?« (Sie waren im Auto. Meine Bedenken: Sie lässt Wasser reinlaufen, sie bekommt nasse Füße, die anderen wollen auch.) O.k., ich gab sie ihr. (Was ist mir wichtiger: meine Gummistiefel, die ich ja zu Hause wieder trocknen kann, oder Elkes Wunsch?)

Elke ging dorthin, wo es für meine Stiefel zu tief war. (Sie setzt sich über mein »kein Wasser in die Stiefel« hinweg. Ich akzeptiere: Wenn es ihr Spaß macht, sie ist mir wichtiger.) Das war ein Signal. Auch Oliver ließ seine Stiefel vollaufen. (Mein Ärger, dass dies nun doch passierte, hielt sich die Waage mit meiner Freude über den Spaß, den sie dabei hatten.)

Jetzt hielt es auch die anderen nicht mehr. Britta und Holger gingen zum Wasser. »Zieht doch eure Schuhe aus« – nichts da. Patsch, waren sie mit ihren Schuhen drin. (Kinder sollten sich nicht die Schuhe nass machen. Was werden ihre Eltern sagen. Sie bekommen garantiert eine Erkältung. Und: Wie sie sich freuen!)

Sandra blieb bei mir. Ich nahm dies auf: Wenn ich jetzt mit Sandra ein Stück in Richtung auf das Auto gehe, kommen die anderen aus dem Wasser. (Erwachsenenangst, nicht mehr Herr der Situation zu sein. Meine unwohlen Gefühle wuchsen.) »Wir müssen nach Hause.« (Vorgeschobener Grund.) »Ich habe Angst, dass ihr euch erkältet.« (Schon ehrlicher; dass mir am meisten Sorgen machte, von ihren Eltern Ärger zu bekommen, sagte ich nicht.) »Wieso – wir erkälten uns nicht.« (Ich spürte ihre Gelassenheit und mein blödes, ach so erfahrenes Erwachsenengehabe.)

Dann ging Elke einfach tiefer ins Wasser. Mit allen Sachen! Schon war sie bis zum Bauch eingetaucht. (Das darf doch nicht wahr sein! Und: Wie sie sich freut, das muss ja unheimlich Spaß machen.) Oliver folgte, Holger schrie vor Vergnügen. Britta tauchte plötzlich bis zum Hals ein. Jetzt ging auch Sandra zum See. Dann waren alle dabei, auf- und abzutauchen. (Es kamen andere Bedenken: Sie könnten sich verschlucken, sie könnten in zu tiefe Zonen kommen, ich verliere den Überblick, es wird gefährlich, ich sollte jetzt auch ins Wasser gehen, um sofort eingreifen zu können. Und es kamen andere Gefühle: Sie sind so souverän, sie reizen die Situation aus, sie werfen diese behindernden Erwachsenenregeln über Bord – »man geht nicht mit Anziehsachen ins Wasser«, »man geht überhaupt nicht in ein Baggerloch«, »man muss wenigstens ein Abtrockentuch dabei haben«. Sie leben jetzt – und wie!)

Elke schwamm. »Ich kann nicht mehr stehen.« Holger setzte sich, nur sein Kopf war noch zu sehen, Britta schmiss ihre Schuhe an Land, Sandra marschierte drauflos, Oliver tauchte, »hallo, ich ertrinke«.

Ich war jetzt jenseits aller Erwachsenenregeln und Erwachsenenbedenken. Ich war eingespannt in die Situation, wie sie von den Kindern gelebt wurde. Ich war fasziniert. Und hellwach und aufmerksam, um sofort helfen zu können, falls das nötig werden sollte. Ich war voll von ihrem Vergnügen und ihrer Sicherheit. Ich war wieder im Vertrauen zu ihnen und zu mir, wie vor Beginn der Wasserszene. Ich saß am Ufer und genoss, mich, sie und das Leben. Es war fantastisch und befreiend.

»Komm doch auch.« »Nee, ich habe keine Lust.« »Na gut, aber wir.«

Dann kam Sandra ans Ufer. »Mir ist kalt.« Dann Oliver. »Leute, ich habe jetzt Angst, dass es zu kalt wird. Kommt raus, ich hole etwas zum Abtrocknen aus dem Auto.« (Ich spielte mit, ich plante mit. Ich managte und brachte mein Erwachsenen-Know-How ein: wie man jetzt wieder warm wird. Ich war ihr Freund und stand auf ihrer Seite, ich stand ihnen zur Seite.) Sie kamen nach und nach. Die Abtrockensachen – trockene Wäsche, die im Auto rum lag – reichten gerade. »Wer trocken ist, rein ins Auto. Lasst die nassen Sachen liegen und wickelt euch in die Autodecken.« (Ich managte weiter. In mir war Gewissheit: Wir bekommen das hin. Wenn sie sich ausziehen und einwickeln, kann es keine Erkältung geben.)

Das Abtrocknen war ein Riesenspaß. Ich packte ihre Sachen zu »Familienhaufen« zusammen, »damit es nachher beim Aussteigen schneller geht«. Dann war es soweit, wir fuhren ab. Heizung volle Kraft, die Scheiben beschlagen, der Wagen voller Leben, Spaß, Vertrautheit, Abenteuer und Glück.