Die pädagogische Umwelt

Amicative Kinder kennen pädagogisch eingestellte Erwachsene aus dem Bekannten- und Verwandtenkreis, aus den Kontakten zur Nachbarschaft, als Eltern ihrer Freunde, aus dem Kindergarten und der Schule, vom Einkaufen und vom Arztbesuch. Amicative Menschen leben nicht isoliert, sondern wie alle Familien mitten in dieser – pädagogischen – Gesellschaft.

Amicative Kinder erfahren jedoch im Unterschied zu pädagogisch groß werdenden Kindern im häuslichen Bereich Beziehungen, die frei sind von der pädagogischen Einstellung mit allen ihren destruktiven Konsequenzen. Amicative Kinder werden in ihrer Selbstverantwortung, ihrem Selbstvertrauen, ihrer Selbstliebe und ihrer Sozialität nicht gestört. Mit ihrer ursprünglichen Ich-Kraft treffen sie auf pädagogische Haltungen und sind für diese Zusammenstöße bestens gerüstet.

So merken sie beispielsweise, dass weder Herabsetzungen noch Schuldzuweisungen in Wirklichkeit etwas mit ihnen zu tun haben. Sie spüren, dass der schimpfende Erwachsene in Not ist und seine Geschichte herausschreit, dass sein »Wie kannst Du nur!« und sein »Sieh das ein!« trotz seines Anspruchs, recht zu haben, nur seine Sicht der Dinge ist. Andere Kinder hingegen fühlen sich von Herabsetzungen bedrängt und bedroht, und eine aktuelle Schuldzuweisung ist nur ein weiterer Stein, der auf ihnen lastet.

Es gibt in der Welt der Dinge viele Gefahren, und die Potenz, mit ihnen erfolgreich umzugehen, kommt von innen. Das ist mit den inneren Gefahren – den Angriffen auf das Selbst – nicht anders. Die erziehungsfrei groß werdenden Kinder stützen sich auf ihr Selbstvertrauen und kommen mit der pädagogischen Welt um sie herum insgesamt gut zurecht. Sie sind bei pädagogischen Aus- und Anfällen gelassen und nachsichtig. Sie lieben doch ihre Tante, sie können doch den Vater ihres Freundes eigentlich gut leiden – warum sollen sie ihnen dann nicht ihr Gemecker nachsehen und sich die Hände waschen und die Tür zumachen? Der Lehrer, der wegen der unerledigten Hausaufgaben eine Standpauke hält, ruft Erstaunen statt Schreck und Schuldgefühl hervor: »Was hat er denn nur? Schlecht geschlafen? Krach zu Hause?« Die Kontinuität ihres Gefühls, voll- und gleichwertig zu sein, geht durch die Erlebnisse mit pädagogischen Menschen nicht verloren. Die Welt, die sie in ihrem Glauben an sich selbst stützt, erfahren sie ja zu Hause, Tag für Tag, rund um die Uhr, in verlässlicher Sicherheit, weil ihre Eltern sie – wiederum aus deren Glauben an sich selbst, nicht um der Kinder willen – so sehen.

Die pädagogischen Erwachsenen ihrerseits mögen die amicativen Kinder. Dabei kennen sie in der Regel nicht ihren Hintergrund. Sie sind von den Kindern beeindruckt, weil sie ich-stark, aber nicht egoistisch, ruhig und ausgeglichen, aber nicht apathisch, weil sie einfach angenehm und freundlich, aber nicht anpasslerisch und leisetreterisch sind. Sie sind offen für die Gefühle anderer Menschen, und das tut auch den Eltern ihrer Freunde und der Lehrerin gut. Amicative Kinder sind gern gesehene Gäste in anderen Familien. In der Schule werden sie als wertvolle Stützen der Klassengemeinschaft geschätzt und erhalten im Hinblick auf ihr Sozialverhalten auffallend positive Beurteilungen, und ihre schulischen Leistungen sind wie bei anderen Kindern mal besser, mal schlechter.