Wenn es mir zuviel wird

»Was soll ich machen, wenn es mir zuviel wird, freundlich zu den Kindern zu sein?« Je mehr man sich vornimmt, desto höher wird oft der Anspruch an sich selbst, nun tatsächlich freundlich und achtungsvoll zu sein. Und dann kommt der Punkt, an dem man sich überfordert fühlt. »Eigentlich müsste ich mehr Zeit und Ruhe haben. Ich will mein Kind doch nicht vernachlässigen.« Aber das Kind geht einem jetzt gerade so sehr auf die Nerven, dass man einfach nicht die Kraft hat, sich seiner Wünsche anzunehmen. »Jetzt nicht!« – »Lass mich in Ruhe!« Und dann geht man fort und nimmt ein schlechtes Gewissen mit.

In der Amication kommt man ohne schlechtes Gewissen zurecht. Ja – ich gehe weg von diesem nach mir rufenden Kind und kümmere mich jetzt nicht um seine Wünsche. Es geht nicht darum, über die eigenen Kräfte hinaus für andere da zu sein – auch nicht für Kinder. Wenn Erwachsene die Kinder in ihren Bedürfnissen und Wünschen ernst nehmen und achten wollen, dann geht das wirklich nur, wenn sie sich selbst in ihren Bedürfnissen und Wünschen auch ernst nehmen. Und das heißt hier: Was ich tue – den Wünschen der Kinder jetzt nicht nachzugeben –, ist vor mir verantwortet und ich brauche deswegen kein schlechtes Gewissen zu bekommen. Einmal ganz abgesehen davon, dass Kinder ein ehrliches jetzt nicht viel leichter vertragen können als die aufreibende »Nimm doch Rücksicht«-Forderung von Erwachsenen, die ihre Wünsche denen der Kinder nicht offen gegenüberstellen.

Wenn es einer Mutter oder einem Vater zuviel wird, sich um ihr Kind zu kümmern, dann haben sie das Recht, sich um sich selbst zu kümmern. Eigentlich könnte man sogar sagen, dass dann die Pflicht besteht, sich um sich selbst zu kümmern. Zu entspannen, eigene Dinge zu verfolgen – denn dann können Energie, Kraft und Gelassenheit auch wieder zurückkommen. Wenn Kinder anstrengend sind, ist es wichtig, irgendwo aufzutanken. Und dies wird oft nur so gehen, dass die Kinder nicht mit dabei sind. Es wird vielleicht schwer zu machen sein – aber es kann dabei überhaupt kein schlechtes Gewissen geben.

Wer den Kindern zuliebe auf sich verzichtet – obwohl er eigentlich gar nicht verzichten will –, der tut weder den Kindern noch sich selbst einen Gefallen. Er tut eigentlich etwas, das sowohl den Kindern als auch dem Erwachsenen selbst Schaden zufügt. Es ist in der Amication gerade umgekehrt, wie es so oft zu hören ist: Dass man sich für die Kinder aufopfern sollte. Wer dies aus echter Überzeugung tut, für den entsteht kein Problem, und der mag dies auch tun. Wer sich aber nach dieser »Grundregel« richtet, obwohl es in ihm rumort und er sich eigentlich gar nicht aufopfern will, der ist schlimm dran. Es käme darauf an, ihm zu helfen, von so einer wirklichkeitsfremden Position herunterzukommen. »Kaufst Du mir noch ein Eis?« – »Liest Du mir noch eine Geschichte vor?« – »Spielst Du mit mir?« – »Wann gehen wir denn endlich zum Einkaufen?«

Wenn es Eltern zuviel wird und sie an sich selbst denken, bedeutet das, dass man das Kind (jetzt) zurückweist und sich seiner (jetzt) erwehrt. Man wird den Kindern dann oft nicht vermitteln können, dass man sie nicht ablehnt. Denn man tut ja nicht, was sie von einem wollen, und das kann sie schon sehr wütend machen. »Du bist richtig gemein.« Doch wenn sie ärgerlich werden, hat das denselben Stellenwert wie die Rückzugsgefühle der Erwachsenen. Aber niemand sollte sich wegen des – berechtigten – Ärgers der Kinder davon abbringen lassen, sich um sich selbst zu kümmern, wenn dies ansteht.